Wenn der Partner nachts plötzlich rabiat wird: Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung

Aus „Das Schlafmagazin“ 1/2021 mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Dr. Roxanne Dossak


Der Mann, der seine Frau mit einem Stinktier verwechselte

Eigentlich führte Clara B.* eine glückliche Ehe – doch seit einiger Zeit hatte sie ein Problem: Ihr Mann Peter spielte nachts regelmäßig verrückt. Er schlug und trat wie wild um sich. Manchmal begann er in ohrenbetäubender Lautstärke zu schreien. Wenn Clara dann hochschreckte, stellte sie fest, dass er all diese Aktivitäten offenbar in tiefstem Schlaf ausführte. Eines Nachts zog Peter sie heftig an den Haaren, legte seine Hände um ihren Hals und begann sie zu würgen. In panischer Angst weckte Clara ihn und fragte, was denn mit ihm los sei. „In unserem Zelt ist ein Stinktier“, behauptete er daraufhin. „Ich versuche es gerade zu vertreiben.“ Tatsächlich hatte Peter früher einmal so etwas erlebt: Bei einem Campingurlaub in Kanada hatte einer dieser kleinen Stinker sich in sein Zelt verirrt, und er hatte ihn mit einem energischen Fußtritt nach draußen befördert. Leider war das kein Einzelfall: Ungefähr viermal pro Nacht durchlebte Peter B. solche heftigen Träume. Nicht selten trug seine Frau dabei blaue Flecken davon. Wenn die beiden im Hotel übernachteten und er nachts zu schreien begann, alarmierten die anderen Gäste manchmal die Polizei. Eines Tages las Clara in einer Zeitschrift etwas von einer merkwürdigen Krankheit namens REM-Schlaf-Verhaltensstörung. Die Symptome kamen ihr bekannt vor – genau so benahm ihr Mann sich doch auch, wenn er wieder einen seiner wilden Träume hatte! Sie überredete ihn dazu, sich von seinem Hausarzt an einen Schlafexperten überweisen zu lassen. Nach einer Nacht im Schlaflabor stand die Diagnose fest: Peter litt tatsächlich an dieser seltsamen Erkrankung, von der die beiden bisher noch nie etwas gehört hatten. Der Arzt verschrieb ihm ein Medikament, durch das sein Schlaf sehr viel ruhiger wurde, sodass Clara künftig wieder angstfrei neben ihrem Ehemann schlafen konnte. Normalerweise ist unsere Skelettmuskulatur während des REM-Schlafs (in dem wir unsere lebhaftesten Träume haben) gelähmt – und das mit gutem Grund: Denn sonst würden wir unsere Träume womöglich ausleben. Vielleicht würden wir dann, wenn wir von einer Schlägerei träumen, auf unsere nichtsahnende Bettpartnerin einprügeln oder, wenn uns im Traum ein Hund verfolgt, aus dem Bett springen und die Flucht ergreifen. Mit solchem Verhalten könnten wir uns und andere Menschen in ernsthafte Gefahr bringen. In manchen Fällen versagt dieser raffinierte Kunstgriff, mit dem die Natur uns nachts in unseren wildesten Träumen ans Bett fesselt, jedoch: nämlich bei der REM-Schlaf-Verhaltensstörung.

Dieses erschreckende Krankheitsbild, das mit etwas über 1 % zum Glück nicht allzu häufig ist, kommt hauptsächlich bei Menschen in mittlerem und höherem Alter vor. Dabei handelt es sich keineswegs um eine psychische Erkrankung: Im Wachzustand sind diese Patienten ganz normale Menschen, die keiner Fliege etwas zuleide tun würden. Doch vielen von ihnen steht ein tragisches Schicksal bevor: Rund 80 % entwickeln früher oder später eine neurodegenerative Erkrankung – zumeist eine Parkinson-Krankheit. Denn das Ausbleiben der Muskellähmung während des REM-Schlafs ist oft ein erstes Anzeichen neurodegenerativer Prozesse im Gehirn. Manchmal dauert es so lange, bis die REM-Schlaf-Verhaltensstörung in eine Parkinson-Krankheit übergeht, dass der Patient es gar nicht mehr erlebt. Denn zwischen dieser Störung und dem Ausbruch der Parkinson-Krankheit können zehn, manchmal auch 20 oder mehr Jahre vergehen.

Tagsüber sanft wie ein Lamm – nachts wild wie ein Löwe

Entdeckt wurde die REM-Schlaf-Verhaltensstörung von dem amerikanischen Schlafmediziner Carlos H. Schenck. In dessen Schlafzentrum in Minnesota stellte sich im Jahr 1982 ein Patient namens Donald Dorff vor, der nachts immer wieder träumte, Fußball zu spielen oder von Menschen und Tieren bedroht zu werden – und im Schlaf auch entsprechende Bewegungen vollführte. Professor Schenck untersuchte den Mann in seinem Schlaflabor und war fassungslos: Tatsächlich traten immer wieder Phasen auf, in denen Donald wie wild um sich schlug; und das EEG zeigte eindeutig, dass er sich während dieser Episoden im REM-Schlaf befand. Doch die Muskelspannung im Körper war genauso hoch wie im Wachzustand – deshalb konnte er sich bewegen und seine Träume ausagieren.

Im Lauf der nächsten fünf Jahre stellten sich insgesamt zehn Patienten mit diesem seltsamen nächtlichen Verhalten bei Carlos H. Schenck vor. Da wusste der Schlafmediziner, dass es sich dabei nicht um einen komischen Zufall, sondern tatsächlich um eine Erkrankung handelte. Er gab ihr den Namen „REM-Schlaf-Verhaltensstörung“ (auf Englisch: „Rapid Eye Movement Sleep Behavior Disorder“, kurz: RBD) und veröffentlichte im Jahr 1986 erstmals einen Bericht darüber in der Zeitschrift Sleep.

Früher hielt man die REM-Schlaf-Verhaltensstörung in erster Linie für eine Männerkrankheit; inzwischen weiß man jedoch, dass sie bei Frauen genauso häufig vorkommt, sich bei ihnen jedoch in weniger auffallendem, aggressivem Traumverhalten äußert (und daher nicht so sehr auffällt), während Männer dabei ziemlich rabiat werden: Sie schimpfen, schreien, schlagen und treten um sich. Weckt man sie, so berichten sie von Alpträumen, die sich erstaunlich genau mit ihren Aktionen während des Schlafs decken. Fast immer geht es in diesen Träumen darum, dass sie angegriffen wurden und sich oder ihre Angehörigen beschützen mussten. Parkinson: bisher leider ein unabwendbares Schicksal Nachdem Langzeitdaten von Patienten gezeigt hatten, dass die REM-Schlaf-Verhaltensstörung oft ein Vorbote schwerer neurodegenerativer Erkrankungen ist, wurde im September 2009 anlässlich eines internationalen schlafmedizinischen Symposiums in Ascona die „International RBD Study Group“ gegründet. Denn wenn solche Krankheiten – so der Gedanke – sich bereits so viele Jahre vorher ankündigen, müsste man diese Zeit doch eigentlich nutzen, um vorzubeugen. Das Problem ist nur: Bis heute gibt es keine neuroprotektiven (das Nervensystem schützenden) Substanzen, die den Ausbruch einer Parkinson-Krankheit verhindern oder hinauszögern können – obwohl natürlich eifrig daran geforscht wird.

Trotzdem sollten bei Patienten mit neu aufgetretener REM-Schlaf-Verhaltensstörung eine Geruchsempfindungstestung und eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Kopfes durchgeführt werden. Denn neben Verstopfung und depressiver Verstimmung gehören Riechstörungen zu den ersten Frühwarnsymptomen der Parkinson-Krankheit. Falls bei einem Patienten eine Kombination aus vermindertem Geruchsempfinden und REM-Schlaf-Verhaltensstörung vorliegt, kann eine weitere Untersuchung Aufschluss darüber geben, ob die Nervenzellen im Gehirn, die den Botenstoff Dopamin produzieren, noch in Ordnung sind – denn dann kann man davon ausgehen, dass es noch Jahre dauern wird, bis eine Parkinson-Krankheit auftritt. Ferner wird Betroffenen empfohlen, sich in einer neurologischen Fachklinik, die auf Erkrankungen wie Parkinson spezialisiert ist, regelmäßig überwachen zu lassen. Gute Behandlungsmöglichkeiten Eine RBD kann zwar sehr belastend sein, lässt sich durch Einnahme eines Benzodiazepins (Clonazepam) und/oder Melatoninpräparats vor dem Zubettgehen aber zum Glück gut behandeln. Clonazepam bringt nicht nur das problematische nächtliche Verhalten unter Kontrolle, sondern unterdrückt auch die Albträume. Aufgrund seiner langen Halbwertszeit wirkt es die ganze Nacht hindurch. Bei Patienten mit Demenz, Gangstörungen oder obstruktiver Schlafapnoe ist Clonazepam allerdings mit Vorsicht anzuwenden: Aufgrund seiner muskelerschlaffenden Wirkung kann es nämlich nächtliche Atemstillstände verstärken und auf diese Weise eine Schlafapnoe verschlimmern. (Vor Einleitung einer Clonazepam-Therapie sollte eine obstruktive Schlafapnoe daher entweder ausgeschlossen oder aber eine Schlafapnoe-Therapie eingeleitet werden.) Außerdem kann die schläfrig machende Wirkung von Clonazepam aufgrund seiner langen Halbwertszeit gerade bei älteren Menschen auch noch bis in den nächsten Morgen oder Tag hinein anhalten und dann zu Benommenheit führen und das Sturzrisiko erhöhen. Ein etwas günstigeres Nebenwirkungsprofil hat Melatonin – kein Wunder, handelt es sich dabei doch um unser körpereigenes Schlafhormon: Es wird in der Zirbeldrüse (Epiphyse) unseres Gehirns gebildet und abends und nachts ins Blut ausgeschüttet. Dieses Hormon stimmt unseren Körper auf die Nacht ein und macht uns schläfrig. Allerdings sinkt unsere körpereigene Melatoninproduktion mit zunehmendem Alter immer mehr ab. In den USA ist Melatonin frei verkäuflich und sogar in Drogerien und im Supermarkt erhältlich, weil es dort als Nahrungsergänzungsmittel eingestuft wird. Bei uns gibt es Melatonin als Retardpräparat mit verzögerter Wirkstofffreisetzung (Circadin®), was den Vorteil hat, dass die Substanz verzögert im Magen-Darm-Trakt freigesetzt wird und ihre Wirkung daher – ähnlich wie beim körpereigenen Melatonin – die ganze Nacht über anhält. Circadin® wird in erster Linie als Mittel zur Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen bei älteren Menschen eingesetzt. Es hilft aber auch gegen die REM-Schlaf-Verhaltensstörung: Untersuchungen zufolge stellt es die Muskellähmung während des REM-Schlaf teilweise wieder her und wirkt somit gegen das Ausagieren der Träume. Wichtig ist, das Mittel jeden Abend ungefähr um dieselbe Zeit einzunehmen. Beide Medikamente sind langfristig wirksam, müssen allerdings dauerhaft eingenommen werden – sonst können Rückfälle auftreten. Bei Patienten, die nicht auf eine alleinige Gabe von Clonazepam oder Melatonin ansprechen, kann eine Kombinationstherapie aus beiden Substanzen wirksam sein. *Die Namen wurden von der Redaktion geändert. Parasomnien – nicht nur lästig, sondern manchmal auch gefährlich Bei der REM-Schlaf-Verhaltensstörung handelt es sich um eine Parasomnie. Unter diesem Oberbegriff werden verschiedene aus dem Schlaf heraus auftretende abnormale Verhaltensweisen wie beispielsweise Schlafwandeln, Albträume, Bettnässen und nächtliches Zähneknirschen, Essen oder Sprechen zusammengefasst. Erbliche Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle: Viele Parasomnien kommen familiär gehäuft vor. Manche Menschen leiden sogar gleichzeitig an mehreren Parasomnien – und zeigen diese Verhaltensweisen nicht selten in ein und derselben Nacht. Oft fühlen sie sich dann morgens „wie gerädert“. Man unterscheidet zwei verschiedene Arten von Parasomnien:

• REM-Schlaf-Parasomnien, die – wie der Name schon sagt – fast ausschließlich im REM-Schlaf auftreten: Dazu gehören z. B. Albträume und die REM-Schlaf-Verhaltensstörung. Solche Parasomnien treten besonders häufig in der zweiten Nachthälfte auf, in der wir mehr REM-Schlaf haben.

• Non-REM-Schlaf-Parasomnien (auch als „Schlaftrunkenheit“, Aufwach- oder Arousalstörungen bezeichnet, weil das Gehirn dabei halb schläft und halb wach ist): Bei solchen Parasomnien haben die Patienten die Augen geöffnet und sind zu einfachen Handlungen in der Lage; doch da ihr Gehirn nicht vollständig wach ist, sind diese Handlungen meistens unsinnig.

In diese Kategorie gehören beispielsweise Schlafwandeln oder Sex während des Schlafs. Es gibt aber auch Parasomnien, die sowohl im REM- als auch im Non-REM-Schlaf auftreten können. Zur Diagnostik ist aufgrund der Komplexität dieser Krankheitsbilder oft eine umfassende Untersuchung im Schlaflabor (Polysomnografie oder Video-Polysomnografie) erforderlich.

Ein umfassendes Informationswerk über die REM-Schlaf-Verhaltensstörung Das vom Entdecker der REM-Schlaf-Verhaltensstörung, Prof. Carlos H. Schenck, und anderen Schlafmedizinern herausgegebene englischsprachige Werk behandelt auf stolzen 678 Seiten sämtliche Aspekte dieser Erkrankung: von ihrer Entdeckung über die Diagnostik und Therapie bis hin zur Patientenbegleitung und Wahrscheinlichkeit der späteren Entstehung einer neurodegenerativen Erkrankung. Carlos H. Schenck et al. (hrsg.) „Rapid-Eye-Movement Sleep Behavior Disorder“ Springer, 2019; ISBN: 978-3-319-90151-0.